… ereignete sich quasi „vor der Haustüre“ der BKG in Rustow. Eine Tragödie unsagbaren Ausmaßes vollzog sich im April 1945 vor dem Einmarsch der Roten Armee in der Hansestadt Demmin, rund 5 km von Rustow entfernt.
Mittelalterlichem Kriegsrecht entsprechend wurde Demmin nach seiner Eroberung durch die Sowjetarmee im Mai 1945 zur vollkommenen Zerstörung freigegeben. Ungeheuere Panik ergriff die dort lebenden Bürger und führte zu der Tragödie eines massenhaften und beispiellosen Aktes der Selbstermordung.
Die Schreckenszeit begann bereits im Herbst 1944, als die Rote Armee erstmals die Grenzen des Deutschen Reiches überschritt. Der Krieg, der 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete, kehrte in das Reich zurück und zeigte den Deutschen sein schrecklichstes Gesicht: Willkürliche Erschießungen, Vergewaltigungen und Plünderungen durch die Sowjetarmee waren von nun an der Tagesordnung.
Haß und Rache fanden im vorpommerschen Demmin ihren Höhepunkt: Die alte Hansestadt wurde von sowjetischen Soldaten gebrandschatzt und die Einwohner terrorisiert. Tausende von Menschen hielten das nicht aus und begingen in Anbetracht der Greueltaten Selbstmord! Der Auslöser für die entsetzlichen Ausschreitungen liegt bis heute im Dunkeln. Mehrere Gründe dürften dafür maßgeblich gewesen sein: Die sich zurückziehende deutsche Wehrmacht hatte die Brücken über die Tollense und die Peene gesprengt. Die Rote Armee, die bis dahin widerstandslos in das bisher unzerstörte Demmin einrückte, konnte ihren Vormarsch nicht fortsetzen. Weiterhin wird berichtet, dass sich zu dieser Zeit in Demmin große Alkoholvorräte befanden, die den Rotarmisten zu ihren Feiern zum 1. Mai in die Hände gefallen sind.
In der Nacht begannen die betrunkenen Soldaten der Sowjetarmee damit, die Stadt zu marodieren. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt und viele Bewohner wahllos umgebracht. Das Geschehen verursachte bei den Menschen eine ungeheuere Panik. Etwa 1.200 bis 2.500 Menschen sollen sich das Leben genommen haben. Die einen nahmen Gift, die anderen erschossen sich, und wieder andere ertränkten sich in der Peene oder der Tollense. Noch Wochen später wurden Leichen aus den Flüssen gezogen.
Doch der Haß und die Gewalt der sowjetischen Soldaten hatten ihren Hintergrund. Beim Vormarsch durch ihr zerstörtes Land mussten sie sehen, welche Verbrechen die Deutschen dem russischen Volk angetan hatten. Mit der Vertreibung der deutschen Invasionstruppen aus ihrem Land war für den einfachen russischen Soldaten das Ziel des „Großen vaterländischen Krieges“ zunächst erreicht. Zum weiteren Vormarsch in das Deutsche Reich selbst bedurfte es zusätzlicher Motivation für die Sowjetsoldaten. Reiche Beute wurde ihnen versprochen, wenn sie bis nach Berlin kämen, und der Besitz der Deutschen wurde zur Plünderung freigegeben, Frauen durften vergewaltigt werden.
Im sowjetischen Rundfunk wurde ausdrücklich zur Rache und Vergeltung aufgerufen. Ja, es gab sogar rituelle Haßgesänge. Die aufgeputschten Rotarmisten waren auch nach Kriegsende von der Armeeführung nur schwer unter Kontrolle zu bringen. Erst vier Jahre später, nämlich durch ein Gesetz vom März 1949, dass Vergewaltigungen mit bis zu 15 Jahren Arbeitslager bestrafte und der Kasernierung der sowjetischen Truppen, bekam das Regime Stalins die sowjetischen Truppen in den Griff.
In der früheren DDR waren die traumatischen Ereignisse ein tabuisierter Begriff. Niemand durfte unter Androhung von härteren Strafen auch nur darüber sprechen. Erst nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 durften die Ereignisse aufgearbeitet werden.
Die Geschäftsleitung der Firmengruppe Beck beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem Plan der Aufstellung von Gedenktafeln auf dem Areal des Gutshauses Rustow, um eine Erinnerung für die Ereignisse des 2. Weltkrieges vor Ort zu schaffen. Dabei soll vor allem der Ursprung der Aggression, nämlich das 3. Reich, welches unsägliches Leid über die Menschheit gebracht hat, als Ausgangspunkt genommen werden.
Über die weite und ebene Landschaft ist vom Gutshaus Rustow aus der Demminer Dom zu sehen. An den Wochenenden ist er beleuchtet und strahlt kilometerweit über die friedliche Landschaft. Mögen wir alle und vor allem die verantwortlichen Politiker in unserem Land dafür Sorge tragen, dass nie wieder Krieg von diesem Boden ausgeht. Mögen sich alle Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft auch nachhaltig darüber im Klaren sein, wenn sie über Auslandseinsätze unserer deutschen Soldaten entscheiden. Es folgt der Abdruck des Befehl des Kommandanten der Roten Armee Major Petrow:
Demmin, den 23. Mai 1945 – Befehl des Kommandanten der Roten Armee in der Stadt Demmin Nr.1 100
Seit 19. Mai 1945 bin ich als Kommandant der Stadt und des Kreises Demmin eingesetzt.
Ich befehle:
I.
1. Der gesamte vom Hitlerregime geschaffene Staats- und Verwaltungsapparat ist aufgelöst. Alle nach dem 30. Januar 1933 erlassenen Gesetze sind außer Kraft gesetzt. Der neue Landrat des Kreises, Müller, und der neue Bürgermeister der Stadt Demmin, Harz, haben unverzüglich alle Akten und das Eigentum der Stadtverwaltung und der Kreisverwaltung zu übernehmen und treten sofort ihre Ämter an.
2. Die sogenannte NSDAP und alle angeschlossenen Organisationen sind aufgelöst und als gesetzwidrig erklärt. Alle Leiter der Organisationen der NSDAP, SS, SA, HJ, des NSKK, des NS-Studentenbundes, NS-Beamtenbundes, NS-Lehrerbundes, NS Juristenbundes, BdM, NS-Frauenschaft u. a. haben sich sofort bei den Kommandanturen in Demmin, Jarmen, Borrentin, Altentreptow zwecks Registrierung zu melden.
Unterlassung dieser Meldung wird als eine gegen die Rote Armee gerichtete feindliche Handlung geahndet, die gleichbedeutend mit Spionage und Sabotagetätigkeit ist.
3. Alle Angehörigen, Angestellten und Beamten der SS, Gestapo, SA, Feldgendarmerie und alle Gliederungen der Polizei haben sich unverzüglich bei den oben genannten Kommandanturen spätestens bis zum 1. Juni zur Registrierung zu melden. Personen, die dieser Meldepflicht unterliegen und ihr nicht nachkommen, sind festzunehmen.
4. Das Eigentum der oben genannten Partei und Staatsbehörden, namentlich Archive, Ausstattung, vorhandene Geldbeträge, sowie das persönliche Eigentum flüchtiger Leiter und Angehöriger dieser Organisationen wird beschlagnahmt. Personen, die versuchen, jegliche Art des obengenannten Eigentumes zu verstecken, zu vernichten oder sich anzueignen, werden mit aller Härte der Kriegsgesetze bestraft.
5. Alle Angehörigen der Wehrmacht, der W.S.S.,101 des Volksturms, des Arbeitsdienstes, sowie der Organisation Todt haben sich unverzüglich bei den oben genannten Kommandanturen zur Registrierung zu melden. Wer sich dieser Meldepflicht zu entziehen versucht, wird als Spion und Saboteur mit allen sich daraus ergebenden Folgen behandelt.
6. Alle Personen, die im Besitz von Feuer- oder blanken Waffen, Sprengstoff, sowie Sendeanlagen, Empfangsgeraten 102, Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Photoapparaten, Kinoapparaten und Filmen sind, haben die angeführten Gegenstände beiden oben genannten Kommandanturen unverzüglich abzugeben. (bis zum 1. Juni 1945) Herstellung, Aufbewahrung und Ankauf von Waffen aller Art, von Sprengstoff, Sende- und Empfangsgeräten werden nach den Kriegsgesetzen mit dem Tode bestraft.
7. Alle Einwohner des Kreises und der Stadt Demmin sind verpflichtet zur Entlarvung aller Agenten des verbrecherischen Hitlerregimes und zur schnellen Beendigung der Unordnung in Deutschland beizutragen. Alle Personen, ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes, die denjenigen die gegen die unter Ziffer 1, 2, 3, 4, 5 und 6 angeführten Anordnungen verstoßen, Aufnahme gewähren, oder von denselben Kenntnis haben und keine Meldung erstatten, werden als Mittäter zur strengen Verantwortung gezogen. Bei Krankheit, Abwesenheit oder sonstigen Behinderungsfällen hat die Meldung der unter Ziffer 1-6 angeführten Personen durch nächststehende Angehörige sofort zu erfolgen.
II.
1. Meine Anordnungen sind für die Bevölkerung bindend und gelten als Gesetz. Nichterfüllung meiner Anordnungen wird als gegen die Rote Armee gerichtete feindliche Handlung geahndet.
2. Alle Arbeiter, Angestellte, Kaufleute, Gewerbetreibende, Landwirte, Bauern und Handwerker sind verpflichtet, auf ihrem Posten ihre Arbeit zu erfüllen. Leiter von Unternehmen, Privatfirmen, Werkstätten, Landwirtschaften usw. sind für Instandsetzungsarbeiten ihrer Betriebe, wenn sie zerstört sind, und für Fortsetzung der Arbeit verantwortlich. Ein Herumdrücken von der Arbeit und der gewohnten Beschäftigung wird als Sabotage betrachtet und entsprechend den Krieggesetzen bestraft. Das Eigentum derer, die sich der Spionage schuldig gemacht haben, wird beschlagnahmt.
3. Die Ordnung der Lebensmittelversorgung und Lebensmittelzuteilung wird von der neuen Verwaltung des Kreises und der Stadt Demmin festgelegt. In Kreis und Stadt Demmin wird folgende Ordnung festgelegt: a) Das Verlassen der Wohnungen durch die Zivilbevölkerung ist von 8 -20 Uhr MEZ gestattet. 103 b) Es ist streng untersagt, Militärund Zivilpersonen ohne Genehmigung des Ortskommandanten der Städte unseres Kreises Unterkunft zu gewähren. c) Personen, die den Anordnungen der oben angeführten Buchstaben a-c zuwiderhandeln, werden mit aller Strenge der Kriegsgesetze zur Verantwortung gezogen.
4. Dieser Befehl gilt bis auf weitere Anordnungen als Gesetz.
Der Kommandant des Kreises und der Stadt Demmin Major Petrow
Fußnoten:
100 LHA 34, BI. 250 und 251. – Dieser Befehl wurde bereits – allerdings unvollständig – abgedruckt in: Befreiung und Neubeginn 1945/46 – Dokumente und Materialien zum 30. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus – Dokumente zur revolutionären Umgestaltung im Gebiet des Bezirkes Neubrandenburg. Ausgewählt und bearbeitet von Siegfried Kuntsche. Herausgegeben von der Bezirksleitung der SED, Bezirkskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung, in Verbindung mit dem Staatsarchiv Schwerin. (1975), 5. 11, Nr. 9 – Die strengen Strafbestimmungen unter 2., 7. und am Schluss des Befehls wurden nicht mit abgedruckt.
101 Gemeint ist die Waffen-SS.
102 Alle Radiogeräte gehörten zu den abzuliefernden Empfangsgeräten. Die Blockwarte der NSDAP hatten bereits im Januar 1945 den Auftrag gehabt, alle Radiogeräte einzusammeln, angeblich um »Strom zu sparen«. 1936 gab es in Demmin 3.611 Rundfunkhörer.
103 Mit dem Befehl Nr. 18 des Militärkommandanten Petrow vom 12. Juni 1945 wurde die Ausgehzeit von 6 bis 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit verlängert. – Eine Ausnahmegenehmigung für die Weihnachtszeit wurde von Petrow am 20. Dezember 1945 mit dem Befehl Nr. 55 erteilt: »Indem die Erfüllung der religiösen Sitten durch die örtliche Bevölkerung zur Nachtzeit in Zusammenhang mit Weihnachten berücksichtigt wird, befehle ich: Vom 15. 12. bis zum 2. 1. 1946 einschließlich gestatte ich der örtlichen Bevölkerung in dem mir anvertrauten Kreis das ungehinderte Passieren tags und nachts. Ebenso tags und nachts lasse ich die Tätigkeit von Theatern, Varietes und anderen Geselligkeitsabenden zu.« Unmittelbar darauf wurden alle Ausgangsbeschränkungen für die Bevölkerung aufgehoben. (LHA 50).,Der Abdruck der Fotos und der Textpassage "Befehl des Kommandanten der Roten Armee in der Stadt Demmin" erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Kreisheimatmuseums in Demmin v. 21.4.2008.
Weitergehende Literatur zu diesem Thema:
Buske, Norbert: Das Kriegsende in Demmin 1945
Berichte -Erinnerungen – Dokumente
Herausgegeben von der: Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern